Aktion Schichtwechsel: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) besucht die Pestalozzi-Werkstatt in Altwarmbüchen – und muss sich auch kritischen Fragenstellen
Altwarmbüchen.
Erst trägt er Kleber auf, dann drückt Stephan Weil (SPD) das Schaumstoffstück vorsichtig auf eine Pappe. „Was kommt jetzt?“, fragt er. Der Ministerpräsident ist am Montag einer für ihn etwas ungewöhnlichen Arbeit nachgegangen. In der Pestalozzi-Werkstatt in Altwarmbüchen stellte Weil einen Schutzkarton für Airbags her. Wie das geht, zeigte ihm Kay-Uwe Fischer, der in der industriellen Montage der Werkstatt beschäftigt ist.
Der Besuch des Ministerpräsidenten war Teil des Aktionstags Schichtwechsel. Dieser wird bundesweit vom Verein Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) organisiert. Beschäftigte des regulären Arbeitsmarktes tauschen dabei für einen Tag ihren Arbeitsplatz mit Angestellten aus Werkstätten.
Deutschlandweit haben laut BAG WfbM in diesem Jahr 240 Werkstätten an dem Aktionstag teilgenommen – so viele wie nie zuvor.
Viele Fragen an Weil
Die Zeit, um einen ganzen Tag lang in Altwarmbüchen mitzuarbeiten, hätte Weils Terminkalender wohl nicht hergegeben. Dennoch ließ der Politiker es sich nicht nehmen, nach seinem kleinen Einsatz in der Industriemontage mit Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Die Mitglieder des Werkstattrates hatten einige Fragen für den Ministerpräsidenten vorbereitet – und gingen gleich ans Eingemachte.
„Welchen Stellenwert haben Menschen mit Behinderung?“, wollte Sabine Rutkowsky wissen, die in der Näherei der Pestalozzi-Werkstatt arbeitet. „Einen viel größeren als früher. Aber das ist natürlich ein ganz dickes Brett“, sagte Weil und räumte ein, dass sich bei der Inklusion noch viel tun müsse. „Das Problem ist nach wie vor, dass es Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt deutlich schwerer haben.“
Auch die Bezahlung von Menschen mit Behinderung in den Werkstätten sprach Rutkowsky an. Sie bemängelte, dass einige Beschäftigte Sonderzahlungen nicht einbehalten dürften. Tatsächlich steht die Bezahlung in Werkstätten immer wieder in der Kritik. Anders als auf dem regulären Arbeitsmarkt gibt es keinen Mindestlohn – sondern lediglich einen Grundbetrag in Höhe von mindestens 126 Euro. Viele Beschäftigte erhalten Grundsicherung.
Wer mindestens 20 Jahre in einer Werkstatt mitgearbeitet hat, hat Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.
Folglich werden die Beschäftigten einer Werkstatt nicht alle nach dem gleichen Prinzip bezahlt – und wie auch sonst beim Erhalt von Grundsicherung üblich, wirken sich Sonderzahlung mindernd aus. „Es ist total kompliziert geworden“, kritisierte die Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Bildung und Teilhabe, Anja Rinck. Sie äußerte den Wunsch, dass die Beschäftigten ihr Geld aus einer Hand erhalten. Viel entgegnen konnte Weil auf dieses Anliegen nicht. „Ich mache mich schlau dazu“, versprach der Ministerpräsident.
So lief der Besuch im Landtag
Den Gegenbesuch bei Weil hatten zwei Werkstatt-Beschäftigte bereits in der Vorwoche unternommen. Jens-Peter Gruß aus der industriellen Montage war stellvertretend für seine Altwarmbüchener Kolleginnen und Kollegen im Landtag. Zusammen mit ihm war Dirk Benthe von den Hannoverschen Werkstätten dort. Hängengeblieben ist den Entsandten vor allem die Stimmung unter den Parteien. „Die AfD ist so aggressiv“,schilderte Benthe seine Wahrnehmung. „Seit die AfD im Landtag ist, ist es viel ruppiger“, bestätigte Weil. „Dafür sind die anderen Parteien näher zusammengerückt.“ Das Interesse an Politik, so wurde es im Laufe des Gesprächs deutlich, ist groß bei den Mitgliedern des Werkstattrates. Nächstes Jahr möchten sie gerne mit mehreren Leuten einen Ausflug in den Landtag unternehmen. Weil lud sie ein, dann erneut mit ihm das Gespräch zu suchen.
Text: Thea Ball